Ich bin jetzt ein Fan.

Facebook und Facebooks Strategien zum Fan-Fang verabscheue ich.

Zwar bin ich eingetragener Benutzer. Ich schaue dort gelegentlich Seiten an, die ich ohne Registrierung nicht zu sehen bekäme. Und in großen Abständen stelle oder beanworte ich auch eine Facebook-„Freundschafts“-Anfrage. Einfach, um einen Hauch von Ahnung zu haben, was die anderen 1,44 Milliarden Menschen (lt. Wikipedia im März 2015) dort tun. Sie tun dort wenig, was mir gefällt.

Auch als meine Frau und ich im April zusammen mit einem Freund auf den Rängen des Olympia-Stadions saßen und ein Bundesligaspiel zwischen dem 1. FC Köln und „unserer“ Hertha BSC anschauten (sie hatte sich das von mir zum Geburtstag gewünscht; doch die Spieler schenkten ihr nur ein 0:0), blieb mir eine ernüchternde Erkenntnis: Fußball-Bundesliga-Spiele sind langweilig. Bei Welt- oder Europameisterschaften kann Public Viewing durchaus aufregend sein. Wir passen unsere Termine dann an den Spielplan an und bevorzugen Großleinwände in Brauhausgärten. Aber Bundesligaspiele? Da kriege ich auch bei 50.000 Stadionsgästen nicht die Fan-Kurve.

Bisher war meine Erklärung, warum mich weder Fußball noch Facebook wirklich fesseln: Zum Fan fehlt mir jede Voraussetzung.
Die Erklärung hielt bis gestern.

Gestern gab es auf dem Berliner Bebelplatz wieder die „Staatsoper für alle“. Wie in den vorhergehenden acht Jahren stets mit der Staatskapelle Berlin und Daniel Barenboim als Dirigenten. Da gehen wir, wenn möglich, immer hin.

Der Bebelplatz ist ein erhabener, geschichtsgetränkter Standort. Er hieß einmal Opernplatz und war unter diesem Namen zentraler Schauplatz der Bücherverbrennung durch die Nazis am 10. Mai 1933. Deshalb gibt es unter dem Pflaster und einer Glasplatte das Mahnmal „Bibliothek“, aus lauter leeren Bücherregalen. Heute lässt sich spüren, wie schön dieser Platz am Rande des Boulevards „Unter den Linden“ in zwei Jahren wieder aussehen wird, zwischen zwei repräsentativen Gebäuden der Humboldt-Uni, dem bis zum übernächsten Herbst in Renovierung befindlichen Gebäude der „Staatsoper Unter den Linden“ und dem massiven Hotel de Rome.

Wir haben die „Staatsoper für alle“ nach meiner Erinnerung nur einmal – vergangenes Jahr – wegen Abwesenheit verpasst. Diesmal waren wir zu dritt und kamen mit unseren Klappstühlen rechtzeitig, um alles zu sehen, gut zu hören und nicht völlig zwischen den angeblich gut 40.000 Zuhörern unterzugehen. Ute sagt: „Hier ist alles so friedlich. Man sieht nicht einen Polizisten.“

Für mich war die gestrige Aufführung eine Offenbarung. Nicht so sehr wegen des ersten Teils, dem „Einzug der Gäste“ aus Wagners Tannhäuser. (Mit dem Menschen Wagner kann ich mich nach wie vor nicht anfreunden, auch wenn er beeindruckend komponiert hat.) Und auch Beethovens 5. Sinfonie müsste, wenn es nach mir ginge, einfach mal 12 Jahre auf den Index kommen. So beeindruckend ich diese Sinfonie seit meiner Schülerzeit finde – ich wünschte mir mal die Chance, einfach so richtig hungrig auf ein Wiederhören zu werden. Ich bin kein Pessimist. Aber ich glaube nicht, dass das nächste Tatatataa aus irgend einem voll aufgedrehten Lautsprecher lange auf sich warten lassen wird.

Die Offenbarung kam mit Peter Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur, Opus 35. Es ist „eines der großen, spieltechnisch wie gestalterisch enorm anspruchsvollen Werke des 19. Jahrhunderts“, heißt es auf der Homepage der Staatsoper. Was einem dann die Luft anhalten ließ, war die georgische Geigerin Lisa Batiashvili.

Lisa Batiashvili
Lisa Batiashvili
Foto: Mat Hennek/sonyBMG / bei Wikimedia: CC BY 3.0

http://www.harrisonparrott.com/artistsphotos/hires/Lisa_Batiashvili07_highres_3.jpg

Im Moment glaube ich, nie zuvor etwas Vergleichbares an Präsenz, Kraft, Genauigkeit und sogar Körpersprache erlebt zu haben (mit den zwei Vorbehalten, dass ich Laie bin und dass lange zurück liegende Erinnerungen verblassen können).

Lisa Batiashvili hatte dieses Konzert im April schon einmal in gleicher Konstellation mit der Staatskapelle Berlin und Barenboim aufgeführt, in der Londoner Royal Festival Hall. Der Guardian hatte Batiashvilis Auftreten in den höchsten Tönen gefeiert. Auf ihrer Homepage zitiert sie daraus.

“Lisa Batiashvili was the ferocious soloist in Tchaikovsky’s Violin Concerto, intense in the first movement, luminous and heartfelt in the second, scintillating in the quickfire finale. It was a faultless performance, enthralling and electrifying . . . Batiashivili played as if singing an aria.“

Ich googelte nach dem Konzert auf gut Glück das Stichwort „Teufelsgeigerin“, ohne einen Namen hinzuzufügen. Zugegeben, ein trivialer Versuch, wie ihn nur ein begeisterter Laie unternimmt. Es gab einen Treffer auf dem ersten Bildschirm. Ein Journalist der WELT hatte ihr das Etikett nach einem Konzert in Hamburg zugeschrieben.

Natürlich, ich weiß, das heißt überhaupt nichts. Der Name Batiashvili steht bei Google so oder so längst ganz, ganz oben. Er kommt sofort, welches Begriffsexperiment ich da auch immer durchführe. Das einzige, was mein Versuch beweist: Ich bin jetzt ein Fan.

2 Gedanken zu „Ich bin jetzt ein Fan.“

  1. Nach einem einzigen Live-Spiel zu behaupten, „Fußball-Bundesliga-Spiele sind langweilig“, finde ich reichlich schnell geurteilt. Da müsste man doch mehr in die Tiefe gehen und sich nach den fusslahmen Kölnern auch noch ein oder zwei Spitzenclubs anschauen. Ich meine: Trommeln, Bier und Würstchen, was will man eigentlich mehr? Sporadum-Fan D.

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