Letzte Woche erfuhr ich vom Ergebnis einer im Bundesfinanzministerium koordinierten und nun auch von ihm gewonnenen juristischen Abwehrschlacht um die Zahlung von 5 Milliarden Euro Körperschaftsteuer. Der Sieg des Ministerium ist Folge eines bislang nicht veröffentlichten Grundsatzurteils,
das der Bundesfinanzhof (BFH) Mitte Januar zum Nachteil des angesehenen Bonner Wirtschaftsanwalt Wienand Meilicke und zwei seiner Verwandten fällte (I R 69/12).
Von dem Verfahren ging aus deutscher Sicht von Anfang an ein bedrohliches, in der Höhe unkalkulierbares Haushaltsrisiko aus. Aus diesem Grund war die Federführung für das Verfahren fast schon zu Beginn von dem eigentlich zuständigen Finanzamt Bonn-Innenstadt zum Bundesfinanzministerium gewandert. Dort hatte man große Mühe auf das Verfahren verwandt, das zweimal auch Zwischenstation beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH) machte.
Meilickes Gegenspieler im Bundesfinanzministerium war Ministerialrat Peter Rennings, Chef des Referats IV C 2, („Grundsatzfragen der Unternehmensbesteuerung“). Die Pressestelle des Ministeriums gab Rennings vergangene Woche die Erlaubnis, mit mir über das Verfahren zu sprechen. Er bestätigte mir dann telefonisch, was er im Januar bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof (BFH) angeblich über die finanzielle Größenordnung des Verfahrens gesagt hatte. Mittelbar, so Rennings, betraf das Meilicke-Verfahren Forderungen gegen Bund und Länder mit der auch aus heutiger Sicht noch bemerkenswerten Größenordnung von 5 Milliarden Euro.
Mittelbar nämlich betraf der Prozess viele weitere Aktionäre, die mit gleicher Begründung wie Meilicke Steuererstattungen bei ihren Finanzämtern beantragt hatten. Unter ihnen befinden sich nach Informationen aus dem Finanzministerium Industrieunternehmen, Anlagefonds und Einzelpersonen.
Was sie alle verbindet: Sie waren Aktionäre und hatten von ihren örtlichen Finanzämtern eine Gutschrift ihres Anteil an Körperschaftsteuer gefordert. Es ging um Geld, das Aktiengesellschaften den Finanzämtern Jahre zuvor bezahlt hatte. Immer ging es um Jahre vor der Jahrtausendwende.
Bis 1999 hatte in Deutschland das Prinzip gegolten, dass ausgeschüttete AG-Gewinne nur dem individuellen Steuersatz aller einzelnen Aktionäre unterliegen sollen. Das gelang mit einem Verfahren, das der Lohnsteuerzahlung durch den Arbeitgeber ähnlich war. Was dort die Lohnsteuerkarte ist, hieß beim Aktionär Steuergutschrift. Die Gutschrift war dem Finanzamt gegenüber bares Geld wert. Sie führte zu einer Auszahlung an den Aktionär oder zur Minderung seine Steuerschuld. Genau das wollten die Kläger auch im jetzt abgeschlossenen BFH-Verfahren erreichen.
Nur: In diesem Fall handelte es sich um AGs, die ihren Sitz im europäischen Ausland hatten. Dort hatten die AGs auch ihre Steuern bezahlt. Die Aktionäre forderten also von einem deutschen Finanzamt Geld zurück, das Deutschland gar nicht erhalten hatte. Das erscheint paradox. Im Prinzip hatten trotzdem die Aktionäre Recht.
Denn das hatte der EuGH 2004 und 2005 mit zwei Grundsatzurteilen festgelegt. Würden nur die Aktionäre nur Erstattungen für inländische AGs erhalten, so die Begründung, würde der freie Kapitalverkehr behindert und europäisches Recht wäre verletzt.
Das zweite dieser beiden Grundsatzurteile war besonders brisant. Wieland Meilicke hatte es erstritten und die Richter zu einer großzügigen zeitlichen Festlegung bewegt: Erstattungsansprüche an die eigene Regierung betreffen ohne zeitliche Beschränkung auch frühere Auslandsdividenden. Bundesfinanzminister war zu der Zeit Hans Eichel. Im Bundestag sagte er, wann das so käme, „ist der Staat pleite.“
Aber es kam nicht so. Aus zwei Gründen. Deutschland hatte solche Urteile kommen sehen und das Verrechnungsverfahren zwischen Aktionär und Aktiengesellschaft mit dem Jahr 2000 komplett abgeschafft, für In- wie Auslandsdividenden. Viele Steuervorgänge waren inzwischen auch bestandskräftig. Und dann beschloss der Bundestag zusätzliche formale Hürden, die es schwer machte, noch weit in die Vergangenheit reichende Erstattungen zu beantragen.
Der REst war ein Nachhutgefecht, auch wenn es drohte, verlustreich zu werden. Eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern errechnete, welche Erstattungsforderungen noch auf Deutschland zukommen würden. Aus dieser Berechnung im Jahr 2005 stammt die jetzt noch geltende Größenordnung von fünf Milliarden Euro.
2011 landete das Meilicke-Verfahren erneut beim EuGH, wegen der Formalien. An diesem „Meilicke II“-Urteil fanden die Finanzbehörden mehr Gefallen als der Anwalt. Die Richter billigten die vergleichsweise hohen Verfahrenshürden für den Nachweis für einen Erstattungsanspruch.
Auf dieser Basis entschied nun der BFH zugunsten der Staatskasse. Peter Rennings, der Ministerialrat aus dem Bundesfinanzministerium, sagte diese Woche: „Bisher haben wir im Zusammenhang mit dieser EuGH-Rechtsprechung noch keinen einzigen Euro erstattet.“ Wirklich Ruhe gibt es allerdings erst, wenn noch zwei weitere BFH-Verfahren gewonnen sind.