Gemeinsam mit meiner Frau besuchte ich am 2. Dezember ein Konzert der jungen (1993 geborenen), aber schon sehr erfolgreichen österreichischen Pianistin Hanna Bachmann. Dazu eingeladen hatte das – der katholischen Kirche gehörende – „Österreichische Pilger-Hospiz zur Heiligen Familie“. Wir hatten zufällig davon erfahren.
Hanna Bachmann spielte Werke von Mozart, Schubert und Viktor Ullmann, deutlich mehr als eine Stunde und völlig ohne Noten (Foto). Dass mich dieses Konzert länger beschäftigte, lag daran, dass sie zu jeder von ihr vorgetragenen Komposition etwas sagte. Über Viktor Ullmanns Sonata Nr. 7 sagte sie ein paar Worte mehr. Darunter, dass Ullmann die fünfteilige Komposition im Konzentrationslager Theresienstadt geschrieben hatte, kurz vor seinem Abtransport nach Auschwitz 1944 und seiner Ermordung in einer Gaskammer.
Hanna Bachmann beschrieb nicht nur Ullmanns objektiv verzweifelte Lage in dem „Vorzeige-KZ“ des Regimes, sondern auch seinen damaligen Lebensmut und ein paar musikalische Besonderheiten der Komposition, darunter die in dem Stück verarbeitete Bach’sche b-a-c-h-Tonfolge. Im Programmblatt war dazu noch zu lesen, dass der 5. Satz der Komposition „Variationen und Fuge über ein hebräisches Volkslied“ heißt.
Das alles bewegte uns nicht nur musikalisch. Zwar kannten wir Ullmanns Sonate und ihre Entstehungsgeschichte schon aus früheren Konzerten. Aber das „Hospiz zur Heiligen Familie“ befindet sich in Jerusalem. Wir hatten hier wenige Tage zuvor die Gedenkstätte Jad Vashem durchwandert.
In einem solchen Erlebniszusammenhang drängt sich geradezu die Vermutung auf, dass diese Komposition die demütigende und lebensbedrohliche Lage des Komponisten musikalisch wiederspiegeln muss. Beim Zuhören konnte ich mich jedenfalls nicht davon frei machen, fortwährend nach Anzeichen dafür zu suchen. Ich fand aber keine solche Spur. Das ist sehr subjektiv. Zu mehr fehlt mir eine eigene formale musikalische Ausbildung.
Wikipedia (Version 7.12.2019) beschreibt die künstlerische Handschrift des hoch produktiven Komponisten so: „Eine neuartige Harmonik zwischen Tonalität und Atonalität …, hochgespannter musikalischer Ausdruck und meisterliche Beherrschung der formalen Gestaltung gehören zu den Charakteristika von Ullmanns neuem, .. unverwechselbarem persönlichen Stil.“
In Weimar gibt es seit sechs Jahren einen Lehrstuhl für die Geschichte der jüdischen Musik. Zum Abschluss seiner Antrittsvorlesung 2013 trug der Lehrstuhlinhaber Jascha Nemtsov folgendes Zitat des Komponisten Ullmann vor:
„Zu betonen ist nur, dass ich in meiner musikalischen Arbeit durch Theresienstadt gefördert und nicht etwa gehemmt worden bin, dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war.“ (1)
Für mich ist das unbegreiflich.
1) Zitiert nach: Hartmut Bomhoff: Musik als Widerstand. Antrittsvorlesung von Jascha Nemtsov in Weimar. Jüdische Allgemeine, 10. Dezember 2013. www.juedische-allgemeine.de/kultur/musik-als-widerstand. Auch zitiert in dem genannten Wikipedia-Artikel.