In dieser 24. Kalenderwoche gab es zwei bemerkenswerte Gerichtsentscheidungen, bei denen die Rechtsfindung ganz klar geänderte politische Großwetterlagen widerspiegeln.
In einem der beiden Fälle hatte sich der Zeitgeist aufgrund der bevorstehenden Abstimmung über den Brexit gedreht. Die EU-Kommission hatte das Vereinigte Königreich vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verklagt. Die Brüsseler waren sich sicher, dass die Briten gegen europäisches Recht verstoßen, weil sie die Vergabe von Kindergeld an Nicht-Staatsbürger davon abhängig machen, ob sich das den Anspruch erhebende Elternteil aufgrund eines eigenen Rechtsanspruchs im Königreich aufhält.
Der Generalanwalt, der im Prinzip derselben Meinung wie die Kommission war, schlug dem Gericht vor, „ausnahmsweise“ anders zu entscheiden. Mit dem vorgestern veröffentlichten Urteil (C-308/14) entschied der EuGH dann auch anders.
Eine Entscheidung zugunsten der EU-Kommission hätte den Befürwortern des britischen EU-Ausstiegs in der für die kommende Woche angesetzten Volksabstimmung jede Menge Munition geliefert. Ausgeschlossen, dass dies den EuGH-Richtern bei ihrer Abstimmung nicht vor Augen stand. Meine Überzeugung, dass diese Richter dieselben Gesetze ohne drohende Exit-Abstimmung auf die gleiche Weise gedeutet hätten, ist gering.
Auch das nach meinem Empfinden (ohne dass ich die Details kenne) gute und richtige heutige (17. Juni 2016) Strafurteil des Landgerichts Detmold gegen den 94-jährigen früheren Auschwitz-Wachmann Hanning hat für mich einen extrem bitteren Beigeschmack. Hanning war ein kleines Licht und hat 5 Jahre bekommen. Hundertausende mindestens ebenso schlimmer Terroristen aus den Reihen der SS, der SA und der Wehrmacht sind vor allem deshalb nie strafrechtlich verfolgt worden, weil die meinungsführenden deutschen Richter und Staatsanwälte das nicht wollten und für den Tatvorwurf der Beihilfe zum Mord unüberwindliche Beweis- und Wertungshürden auftürmten. Das taten sie in dem Wissen, dass der unmittelbare Mordvorwurf aufgrund der weitestgehend lückenlosen Massenvernichtung aller Zeugen nur extrem selten zu beweisen war.
Hanning, so heißt es, ist aus demografischen Gründen der letzte frühere NSDAP-Scherge, dem noch der Prozess gemacht werden konnte. Die juristische Fähigkeit, in der aktiven Beteiligung an den Handlungen der Mord- und Holocaust-Vereinigungen auch die Beihilfe zum Mord zu erkennen, verhielt sich leider umgekehrt proportional zur Zahl der Überlebenden aus den Reihen der Mörder. Man darf es nie vergessen: Eine aufgrund der eigenen Verstrickung mit dem NS-System zutiefst befangene deutsche Richterschaft hat nicht einen einzigen der Schreibtisch-Mörder aus den eigenen Reihen abgeurteilt. Der Trost: Nicht nur bei den Tätern, auch bei den Richtern hat die Demografie ihr Werk getan.