München ist schön. Denn der Franz-Josef-Strauß-Flughafen befindet sich ja außerhalb der Stadt. Bis 1992 trug der Münchener Flughafen auch noch nicht diesen Namen, sondern hieß schlicht München-Riem. Er lag auch nicht fast 30, sondern nur 10 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Ich benutzt ihn damals im Schnitt drei- bis viermal im Jahr, manchmal deutlich häufiger und meistens, um mündliche Verhandlungen beim Bundesfinanzhof zu beobachten und in ihrem Umfeld zu recherchieren. Überwiegend flog ich noch am selben Tag zurück. Nicht selten blieb ich aber auch zwei oder drei Tage, an denen es im oder außerhalb des Gerichts interessante Termine gab.
Gestern setzte ich mich wieder einmal in das Café gegenüber dem BFH in der Ismaninger Straße. Von seinem Obergeschoss aus konnte man vor den Verhandlungen immer ganz gut verfolgen, wer das Gerichtsgebäude auf der anderen Straßenseite zu Fuß betrat. Früher verkürzte ich mir hier oft die Zeit bis zu dem jeweiligen Termin. Nach den Verhandlungen setzte ich mich dann regelmäßig in irgend eine Gaststätte in Schwabing, in Bogenhausen, in Lehel, in der Maxvorstadt oder in der Altstadt, um meine Notizen zu vervollständigen.
Wenn es nicht regnete, legte ich den gesamten Weg dorthin meist zu Fuß zurück und lernte die Stadt dabei ganz gut kennen. Die anschließend in dem Lokal entstehenden Aufzeichnungen und Gedankenskizzen waren wichtig, denn sie mussten die Erinnerung für lange wachhalten. Der Bundesfinanzhof fertigt seine Entscheidungen fast immer erst Monate nach der jeweiligen mündlichen Verhandlung aus, und vorher kann man keinen Artikel über den höchstricherliche Spruch schreiben, weiß sogar nicht einmal, ob die Entscheidung überhaupt Stoff dafür hergibt. Wenn nicht, hatte die Reise nach München aber zuminstest Kontakte zu den anwesenden, vielfach hochinteressanten Rechtsanwälten, Steuerberatern und machmal auch Unternehmern gebracht.
Hatten die Richter aber eine spannende Entscheidung gefällt, so kam erst jetzt, manchmal ein halbes Jahr später, der Moment, telefonisch Verbindung mit den davon betroffenen Menschen oder Unternehmen aufzunehmen und den jeweiligen Gesprächspartner so gut vorbereitet anzusprechen, dass er bereit war, sich gegenüber der Presse zu äußern. Wenn nicht, so hatte man jedenfalls seine journalistische Pflicht erfüllt, denjenigen, über die man schreibt, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Eigentlich ist kaum etwas abstrakter und blutleerer als das Steuerrecht, für das der Bundesfinanzhof zuständig ist. Um den Lesern einen anderen Eindruck zu vermitteln, hatte mich mein Chefredakteur Rolf Düser 1982 beauftragt, über die konkreten Menschen und Unternehmen hinter den Steuerurteilen zu schreiben. Das tat ich dann jahrzehntelang und tue es manchmal noch heute. Weil mir das ganz gut gelang und weil es auch fast keine anderen Journalisten gab, die diesen speziellen Mix aus abstakter Rechtsprechung und menschlicher oder wirtschaftlicher Betroffenheit lesbar aufschreiben konnten oder wollten, bezahlte mir der Verlag Gruner + Jahr auch viele Jahre bereitwillig die regelmäßigen und ziemlich teuren Reisen nach München.
Nie erhielt ich einen Tadel dafür, dass ich in München nicht in irgend einem normal-guten Hotel übernachtete, sondern dass es ausgerechnet so etwas wie das Vierjahreszeiten in der Maximilianstraße 17 sein musste. Für mich persönlich war das eigentlich gar nicht so wichtig. Ich ließ vom Sekretariat Hotels buchen, die redaktionsüblich waren, und das Vierjahreszeiten gehörte dazu. Außerdem hatten der Verlag bzw. die Konzernmutter Bertelsmann mit dieser Art Hotel gute Rabatte ausgehandelt. Speziell an diesem Hotel liebte ich die Eingangshalle, die Zimmer, die Bar, vor allem aber den abendlichen Ausblick durch das Saunafenster unter dem Hoteldach auf die malerische Skyline um den Marienplatz. Da schlug das Herz nicht nur beim Aufguss höher.
Also, mit München verbinden mich sehr angenehme Erinnerungen. Und ich finde München nicht nur schön, sondern auch sympathisch. Nicht zuletzt wegen solcher Begegnungen, wie ich sie einmal mit einem Taxifahrer auf dem Weg vom Flughafen zur Ismaninger Straße hatte.
In der kleinen alten Flughafenhalle (Foto: wenige Tage nach der Schließung) war ich auf zwei vielleicht 23-jährige etwas orientierungslose Rucksackträgerinnen gestoßen. Sie stammten aus Kanada und fragten mich, wie sie preisgünstig in die Innenstadt kämen. Auf freie Weise Reisende rühren meine romantische Tramper-Seele bis heute. Ich bot den Beiden an, sie zur S-Bahnstation Leuchtenbergring – für mich fast kein Umweg – mitzunehmen. Von dort aus würden sie jeden Punkt in der Stadt leicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen. Der Taxifahrer, der die großen Rucksäcke im Kofferraum verstauen musste, grantelte „ober englisch konn I‘ net“. Dann sagte er auch zu mir kein Wort mehr.
Die beiden Studentinnen hatten auf ihrer Reise schon viele europäische Länder bereist und Stadte gesehen. Sie wollten bald zuruck in die Heimat. Ich empfahl ihnen, sich auch Hamburg noch anzusehen, denn das sei ganz klar die schönste Stadt Deutschlands. Und plötzlich verstand der Taxifahrer englisch und polterte los: „Dös ist ja das neueste, dös hob I ja no nie g’hört“. Was dann auf dem verbleibenden Weg von der S-Bahn–Station zur Ismaninger Straße zu einer höchst angeregten Unterhaltung darüber führte, warum die Münchner so offensichtlich eifersüchtig auf die wunderbare Hafenmetropole im Norden mit ihrem herrlichen See in der Mitte sind, dass sie sogar gezapftes Alsterwasser mit Radler und Radler mit Alterwasser verwechseln.