Respekt …

… für Norbert Walter-Borjans. Der nordrhein-westfälische Finanzminister legt trotz SPD-Parteibuch sein Veto gegen die Erbschaftsteuer-Konzeption von Schäuble / Gabriel / Seehofer ein. Kompromisse müssen sein. Aber eine Schenkung- und Erbschaftsteuerreform, die absehbar zum vierten Mal in Folge vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern müsste, ist nicht kompromissfähig.

Totalschaden?

Heute (20. Juni 2016) haben Wolfgang Schäuble, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer einen Last-Minute- zu spät kommenden Kompromiss zur Schenkung- und Erbschaftsteuer vorgelegt. Das Bundesverfassungsgericht hatte die derzeitige Gesetzesfassung am 17. Dezember 2014 mit dem Urteil 1 BvL 21/12 für verfassungswidrig erklärt, seine Anwendung aber für längstens bis zum 30. Juni 2016 noch gestatt. Bis dahin allerdings müsse der Gesetzgeber – Bundestag und Bundesrat – das Gesetz repariert haben. Diese Frist noch zu halten, ist unmöglich.

Seit dem Steueränderungsgesetz vom 25. Februar 1992 durchlöchert der Gesetzgeber das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht immer weiter in Richtung auf eine wachsende Privilegierung von Unternehmern Totalschaden? weiterlesen

Faust auf den Tisch

SonntagsfrühstückFrühstück am Sonntagmorgen. Gesprächsthema unter anderem: die vierstündige Faust I und II – Aufführung des Berliner Ensemble am Vorabend in der Inszenierung von Robert Wilson und in Anwesenheit des Komponisten Herbert Grönemeyer. Schauspielerisch, aber vor allem stimmlich phantastisch: Christopher Nell als Mephistopheles. Musik: gefällig, teilweise spontan ohrwurmhaft. Die Textfassung von Jutta Ferbers klatscht das Ende von Faust II an das Ende von Faust I und lässt Faust II pessimistisch statt, wie in Goethes Original, optimistisch oder zumindest versöhnlich enden. Ist aber egal, weil das Ganze nach meinem Empfinden nicht als Schauspiel, sondern als Videokollage konzipiert ist und als solche virtuos, kurzweilig und witzig daher kommt. Wer sich für die „Philosophie“ des Faustthemas interessiert, hat hier nichts zu finden. Ebenso zu kurz kommt, wer zumindest den Plot verstehen will und ihn nicht sowieso schon kennt.

Das Stück hat viel Beifall bei der Kritik gefunden. Ich finde, auch diese Inszenierung markiert mal wieder den Sieg der Form über den Inhalt. Aber das stört heute kaum noch einen Kritiker.

Widerruf: Heute Abend habe ich noch ein paar Kritiken zur Premiere im April vergangenen Jahres nachgelesen – Deutschlandunk, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, ZEIT. Ich habe den Kritikern unrecht getan. Sie sind keineswegs so euphorisch, wie ich aus falscher Erinnerung behauptet habe. Sie gehen mit der Inszenierung doch hart ins Gericht. Obwohl ich zum Teil ganz andere Sachen schlecht fand, als sie.

„verdächtige Menschen“

In einem heute (9. Juni 2016) veröffentlichten Interview mit Deutschlandfunk-Redakteur Dirk-Oliver Heckmann hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière Kritik am geplanten Anti-Terror-Gesetz zum besseren Informationsaustausch zwischen den europäischen Geheimdiensten zurück gewiesen. Es gehe darum, „dass wir“, so der Minster wörtlich, „verdächtige, nicht unschuldige Bürger, verdächtige Menschen, die in Gefahr stehen, terroristische Anschläge zu begehen, dass wir deren Daten gemeinsam mit anderen austauschen.“

Man muss kein Gegner dieses Gesetzentwurfs sein, um sich ehrlicherweise einzugestehen, dass das, was der Minister dort ausdrückt, nur eine Absicht sein kann.

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Schlechte Nachrichten

Ich bin seit Jahrzehnten bekennender Stammhörer des Deutschlandfunks und auch der Deutschlandfunk-Nachrichten. Mit den „Informationen am Morgen“ beginnt mein Tag. Auch die Sendung „Essay und Diskurs“ höhre ich sonntagsmorgens manchmal gerne. „Klassik-Pop-et Cetera“ lasse ich sonnabendsmorgens ohnehin nur ungerne ausfallen. Der Sender und seine Redakteure stehen bei mir einfach in hohem Ansehen.

Die Ausnahme bildet die Nachrichtenredaktion.
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Das Wahrheitsministerium …

… hätte das niemals durchgehen lassen.

Anschutz Arena
Kleines Relikt aus uralter Zeit. Für die Neuauflage benötigt die Kommune ein deutlich größeres Schild.

Wie soll ich die Musik- oder Mehrzweckhalle neben Berlins Ostbahnhof eigentlich nennen? Will ich, dass nacheinander der Telefonica-Konzern mir sagt, das Gebäude heißt „o2-World Berlin“, dann – seit vergangenem Jahr – die Daimler Benz AG mir und zum Beispiel auch der Wikipedia vorschreibt, es „Mercedes-Benz-Arena“ zu nennen? Obwohl der Bauherr und Betreiber des Gebäudes eine Firma des bereits mit goldenem Löffel im Mund auf die Welt gekommenen US-Milliardärs und Ölmagnaten Philip Frederick Anschutz ist, der lediglich die Namensrechte nacheinander an Telefonica und an Daimler verhökern ließ? Das Wahrheitsministerium … weiterlesen

In den Gewölben des Erzherzogs

Hundert Meter vom Südufer der Themse entfernt befindet sich unter dem Schienenviadukt, das den nahen Waterloo Bahnhof mit dem Charing Cross Bahnhof auf der anderen Themse-Seite verbindet, ein Restaurant mit Weinbar und Jazzclub  namens „The Archduke“.

Aus der Archduke -Homepage
Aus der Archduke-Homepage

Vor anderthalb Wochen trank ich dort mittags einen Kaffee, um mir das Etablissement und seine Umgebung näher anzuschauen. Ich wollte hier abends essen.

Bevor die Gegend in den 70-er Jahren den Property Developern in die Hände fiel, gehörte das Gelände zum Territorium der cockney-sprachigen Urlondoner. Als ein echter „Cockney“ galten früher nur Städter, die in Hörweite des Glockenwerks der City-Kirche „St Mary le Bow“ zur Welt gekommen waren. Das wissen wir von unserem leider vor fast drei Jahren verstorbener Freund Charles, auf den dieses Kriterium voll zutraf. Er war 1951 im St Thomas-Krankenhaus geboren, direkt an der Themse, wenige hundert Meter von hier entfernt.
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Mustangs an der Themse

Am vergangenen Wochenende habe ich mit meiner Frau, mit einer gemeinsamen Freundin, mit meiner in Essex lebenden Kusine und einem im Rheinland wohnhaften Freund und Vetter Geburtstag in London gefeiert.

Nachdem wir drei Berliner dem Gatwick-Express in der Victoria Station entstiegen waren, tranken wir vor dem nächsten Pub erstmal zur Selbstbegrüßung im Freien ein Bier. Die beiden Frauen teilten sich zur atmosphärischen Eingewöhnung eine Portion Fish & Chips. Das Lokal heißt, angeblich zum Gedenken an den Vater des Poeten, „The Shakespeare“. Dass sich Peter, unser hellblonder nächster Tischnachbar, hier auch ein paar Biere gönnte, hatte ebenfalls mit dem Gatwick-Express zu tun. Er wollte einen möglichst späten Zug zum Flughafen nehmen und sich die Zeit bis dahin lieber im „Shakespeare“ vertreiben, als vor einem öden Abflug-Gate. Mustangs an der Themse weiterlesen