Steuerzahler-Gedenk-Fake: Birnen geteilt durch Äpfel

Eben hat der Bund der Steuerzahler bekannt gegeben, dass sein so genannter „Steuerzahler-Gedenktag“ am morgigen Mittwoch (19. Juli 2017) stattfindet. Erst ab frühmorgens um 3:27 Uhr, so behauptet dieser Aus-„Bund”, arbeiten die Menschen endlich wieder für sich selbst.

Das macht mich wütend. Denn ich empfinde das als Volksverhetzung mit Hilfe von Fake-News. In den nächsten Stunden werden wieder -zig recherchefaule Journalisten und Medien die Pressemitteilung des Steuerzahlerbunds ungefiltert übernehmen. Und dann nehmen noch mehr Menschen an, dass ihnen der Staat tatsächlich mehr als die Hälfte des Produkts ihrer Arbeit wegnimmt. Sie glauben dann einer böswillig fabrizierten Unwahrheit. Denn die Behauptung des Steuerzahlerbunds ist fern jeder Realität.

Denn das, was dieser Verein „Volkswirtschaftliche Einkommensbelastungsquote” nennt, ist ein Fake. Es handelt sich nicht einmal um eine Quote im Sinne eines prozentualen Anteils am Ganzen.

Zur Erklärung ein simples Rechenrätsel: Zwei Arbeitnehmer A und B verdienen exakt dasselbe und jeder zahlt auch dieselben  Lohnsteuern und Sozialabgaben wie der andere. Nur wissen sie das nicht voneinander. Arbeitnehmer A sagt dann wahrheitsgemäß zum anderen: Meine Steuern- und Sozalabzüge liegen bei einem Drittel meines Gehalts. Arbeitnehmer B erwidert: Meine liegen bei 50 Prozent. A muss also glauben, dass B sehr viele höhere Abgaben hat, als er selbst. Aber B führt seinen Kollegen hinters Licht, durch eine indirekte Lüge.

Der Grund: Arbeitnehmer A bezieht seine Belastung wie allgemein üblich auf sein Brutto-Einkommen. Arbeitnehmer B aber bezieht sich A gegenüber – ohne das offenzulegen – nur auf sein Nettoeinkommen. Rechnerisch stimmt dann beides: Bruttoeinkommen 100 %, Abzüge 33,33%, bleiben netto 66,66 %. Und das ist, was A sagt. Was B sagt: 33,33% Abzüge im Verhältnis zu 66,66% netto sind 50%. Aber das ist ziemlich irreführend, zumindest unüblich. Auf jeden Fall ist es keine Quote.

Exakt so, wie Arbeitnehmer B in diesem Beispiel gegenüber Arbeitnehmer A, geht der Steuerzahlerbund gegenüber der Öffentlichkeit vor, und zwar bezüglich des größten Batzens aller Steuern. Er bezieht alle im Land gezahlten Steuern und Abgaben auf eine Zahlenbasis, die den größten Teil der Steuern überhaupt nicht enthält. Und er ermittelt auf diese Weise scheinbare Steuer- und Abgaben„quoten” von über 50 Prozent.

Damit kommt der Steuerzahlerbund auf eine massiv überhöhte Kennzahl, die,  trotz der Behauptung des Steuerzahlerbunds, offensichtlich auch nichts mehr mit einer Quote – im Sinne eines prozentualen Anteils am Ganzen – zu tun hat. Die vom Steuerzahlerbund benutzte Rechenbasis heißt in Deutschland – aufgrund eines hier eingeschlagenen begrifflichen Sonderwegs – irrtümlicher- und ärgerlicherweise Volkseinkommen. Dieses schöne, aber meist falsch benutzte Wort erleichtert dem Steuerzahlerbund seine Manipulation. Denn meist, wenn die Deutschen „Volkseinkommen” sagen, meinen sie in Wahrheit das so genannte Nationaleinkommen.

Hier eine relativ simple Erklärung für die, die es interessiert: Die statistische Zusammmenfassung der Einkünfte von Arbeitnehmern wie A und B aus unserem Beispiel sind Teil des volkswirtschaftlichen Primäreinkommens. Zum Primareinkommen gehören aber auch die kassenmäßigen Einnahmen ihres Arbeitgebers. Unterstellt, der Arbeitgeber betreibt eine Tankstelle. Dann besteht dessen Beitrag zum volkswirtschaftlichen Primäreinkommen aus dem, was ihm die Kunden für den getankten Treibstoff bezahlen. Die Zusammenfassung aller einzelnen Primäreinkommen nennt sich das Primäreinkommen eines Landes oder Bruttonationaleinkommen. Früher hieß es Bruttosozialprodukt. Das Primäreinkommen eines Landes unterscheidet sich nur minimal vom eng verwandten Bruttoinlandsprodukt.

Das Bruttonationaleinkommen besteht – ganz grob gegliedert – aus vier großen Blöcken:

Erstens aus dem Teil, der verloren geht, weil volkswirtschaftliches Kapital – beim Tankstellenpächter die Zapfsäulen und unterirdischen Tanks, in seiner Kommune die Kanalisationen, die Brücken und die Straßen – mit der Zeit verschleißen und ersetzt werden müssen. Das sind die Abschreibungen.

Zweitens aus dem Teil, aus dem der Staat schon während des Produktionsprozesses Einnahmen, vor allem indirekte Steuern bezieht, begonnen bei der Mehrwertsteuer, fortgesetzt bei der Mineralölsteuer; sogar die von den Betrieben gezahlte Gewerbesteuer gehört dazu. Diese Produktionsabgaben machen deutlich mehr als die Hälfte der staatlichen Steuereinnahmen aus.

Drittens aus den Einkommensteuern der Menschen und der Kapitalunternehmen (deren Einkommensteuern Körperschaftsteuer heißt) sowie aus den Sozialversicherungsbeiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern.

Was dann noch als vierter Teil übrig bleibt, nennen die Statistiker persönlich verfügbares Einkommen.

Das Bruttonationaleinkommen besteht also grob aus den
Abschreibungen
den indirekten Steuern
den direkten Steuern und Abgaben
dem persönlich verfügbaren Einkommen.

Und hier jetzt leicht vergröbert die Bruchrechnung, aus der der Steuerzahlerbund seinen Steuerzahler-Gedenktag zusammenmixt: Im Nenner, der die Vergleichsbasis unterm Bruchstrich bildet, steht das Bruttonationaleinkommen abzüglich der Abschreibungen (Punkt 1 der Auflistung) vor allem aber abzüglich der größeren Hälfte der staatlichen Steuereinnahmen (Punkt 2 der Auflistung). Im Zähler – dem Vergleichsgegenstand – stehen dagegen alle Steuern und Sozialabgaben aus den Punkten 2 und 3.

Um es sinnlich erfahrbarer zu machen, könnte man die Komponenten des Bruttonationaleinkommens auch mit Früchten vergleichen. Dann könnten die Abschreibungen verfaultes Mischobst sein, die indirekten Steuern Birnen, die direkten Steuern und Sozialabgaben Äpfel und das persönlich verfügbare Einkommen Bananen. Die Formel des Steuerzahlerbunds würde dann lauten:

Alle Birnen und alle Apfel zusammengezählt und geteilt durch alle Äpfel (aber ohne die Birnen), alle Bananen und alles verfaulte Mischobst.

Toll.