„Steuerzahler-Gedenktag”

Mit dem Steuerzahler-Gedenktag täuscht der Steuerzahlerbund die Leser
Vor dreizehn Jahren legte ich in der Süddeutschen Zeitung offen, mit welcher unlauteren Methodik der Steuerzahlerbund seinen Steuerzahler-Gedenktag ermittelt (siehe Bild oben). Der jetzt für den morgigen 19. Juli 2017 ausgerufene Tag beruht immer noch auf derselben manipulativen Rechenmethode. Die damalige Analyse trifft weiterhin zu. Da mein Text vom 16. Juli 2004 nicht ganz einfach zu entziffern ist, drucke ich ihn hier noch einmal unverändert in leichter lesbarer Form ab.

 

Berlin. Am Donnerstag war es wieder einmal so weit: Der Bund der Steuerzahler hat den „Steuerzahler-Gedenktag” ausgerufen und erklärt, die Steuer- und Abgabenquote sei gestiegen. Doch die Zahlen des Verbands sind fragwürdig. Nach der Definition von Steuerzahlerpräsident Karl-Heinz Däke haben am „Gedenktag” die Bürger ihren Obolus an den Staat – „rein rechnerisch” – voll entrichtet und dürfen jetzt für sich selbst arbeiten. Die „Einkommensbelastungsquote” liegt nach Angaben des Karl-Bräuer-Instituts der Steuerzahler bei fast 54 Prozent. Doch stimmt sie auch?

Üblich ist es, die Summe aller Steuern und Sozialabgaben mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu vergleichen. So verfahren die Deutsche Bundesbank, der Sachverständigenrat und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Abgabenquote für 2003 bezifferte der Sachverständigenrat mit 40,8 Prozent, die OECD sieht sie wegen einer anderen Abgrenzung nur bei etwa 37 Prozent des BIP.

Völlig anders rechnen zum Beispiel die amerikanische Tax Foundation oder das britische Adam-Smith-Institut. Mit den in diversen US-Bundesstaaten begangenen Taxpayers’ Days oder dem britischen Tax Freedom Day (zuletzt am 30. Mai) sind sie Vorläufer und Vorbild des deutschen Steuerzahlerbunds. Statt auf das BIP beziehen sie ihre Berechnungen auf das Nettonationaleinkommen (in Deutschland früher „Nettosozialprodukt”). Beide Größen unterscheiden sich durch zwei Elemente: Das Nationaleinkommen bezieht die Transfers ins Ausland ein und kürzt das Ergebnis um den Verzehr des öffentlichen und privaten Kapitals (Abschreibungen, etwa auf Maschinen, Autobahnen, Gebäude).

Die – umgerechnet – zwei bis drei Monate im Jahr, in denen die Menschen arbeiten, nur um hier Ersatz zu schaffen, rechnen diese Organisationen nicht mit. Sie kommen so zu einer deutlich niedrigeren Vergleichsbasis. In Deutschland liegt das BIP um knapp ein Fünftel oder gut 0,3 Billionen Euro über dem Nettonationaleinkommen. Wenn die Vergleichsbasis sinkt, steigt natürlich der Wert der Quote entsprechend.

Die angelsächsischen Steuerzahlerverbände halten diesen gewagten Maßstab aber für gerechtfertigt. Ihr Argument: Die Menschen bestreiten Ausgaben und Steuern aus dem persönlichen Einkommen. Das Londoner Adam-Smith-Institut erklärt: „Das Nettonationaleinkommen ist das engste makroökonomische Gegenstück zum persönlichen Einkommen” (www.taxfreedomday.co.uk).

Das behauptet fast wortgleich auch der Bund der Steuerzahler. Gegenüber Journalisten berufen sich Mitarbeiter sogar darauf, exakt denselben Maßstab zu verwenden wie die britischen und amerikanischen Verbände. Doch das stimmt nicht. Statt des in Großbritannien und den USA verwendeten Nettonationaleinkommens „zu Marktpreisen” zieht der Steuerzahlerbund als Maßstab das um weitere 200 Milliarden Euro kleinere Nationaleinkommen „zu Herstellungspreisen” heran – und schon steigt die Quote weiter kräftig. (Früher hieß dieser Maßstab „Nettosozialprodukt zu Faktorkosten” oder „Volkseinkommen”).

Der sachliche Unterschied: Im Nationaleinkommen zu Marktpreisen sind zum Beispiel die gut 80 Cent Steuern enthalten, die Tankstellen dem Autofahrer abnehmen, um sie dem Staat weiterzureichen. Oder die 16 Prozent Mehrwertsteuer, die Händler und Handwerker ihren Kunden berechnen. Zu diesen indirekten Steuern gehören auch Öko-, Tabak-, Bier- und weitere Steuern. Sie machen zusammen etwa die Hälfte des gesamten deutschen Steueraufkommens von einer knappen halben Billion Euro aus.

Beim Bund der Steuerzahler bilden zwar weiterhin beide Hälften – direkte wie indirekte Steuern – zusammen mit den Sozialbeiträgen die Vergleichsgröße für die Abgabenquote. Aber aus der Vergleichsbasis unter dem Bruchstrich hat der Steuerzahlerbund die indirekten Steuern eliminiert. Einfach, in dem er das Nationaleinkommen zu Herstellungspreisen zum Maßstab macht. Seine Kennziffer kann deshalb nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, überhaupt eine Quote – als prozentualer Teil eines Ganzen – zu sein. Zugleich führt diese Rechnung – auch im Vergleich zu ausländischen Steuerzahlerverbänden – zu einer deutlichen Überzeichnung der deutschen Steuer- und der Abgabenquote. Selbst nach deren Maßstäben käme Deutschland nie auf eine Steuer- und Abgabenquote von über 50 Prozent.

Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Steuerzahlerbund sich so zudem von den rechnerischen Beschränkungen befreit, die eine Quote – der prozentuale Teil eines Ganzen – eigentlich mit sich bringt. Auch wenn Deutschland seine Steuerstruktur saniert und die Einnahmen von den direkten zu den indirekten Steuern verlagert, kann der Steuerzahlerbund immer noch Alarm schlagen.

Eine solche Änderung steigert nämlich trotz unveränderter Steuereinnahmen und trotz unveränderter Wirtschaftsleistung sofort die Quote des Steuerzahlerbunds. Der Nenner mit den direkten Steuern fällt, der Zähler kann nicht steigen, weil die indirekten Steuern nicht enthalten sind. Und die falsche „Quote” schnellt in die Höhe. Genau das ist in den letzten Jahren geschehen: Deutschland hat die direkten Einkommensteuern gesenkt, aber verschiedene indirekte Steuern angehoben. Der Steuerzahlerbund beklagte daraufhin stets die steigende Abgabenquote. Doch hat sie sich gar nicht erhöht – der Maßstab hat sich verändert. Das ist das ganze Geheimnis.

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